SkulpTour Neuss

Josef Neuhaus (*1923 Essen †1999 Neuss):
Stadteingangszeichen (1996)

Edelstahl, 600 x 270 x 270 cm.
Standort: Stadtgarten. Ursprünglich stand die Arbeit an der Stresemannallee / Willy-Brandt-Ring (Nähe Südbrücke), wie hier im Bild. Nachdem ein großes Möbelhaus nebenan baute und einen großen Pylon dort aufstellte, nahm das Stadteingangszeichen kaum noch jemand wahr. Im Oktober 2020 wurde die „Endlosschleife“, wie sie auch genannt wird, deshalb in den Stadtgarten versetzt, in ummittelbarer Nachbarschaft des Clemens-Sels-Museums - der Standort, den sich Neuhaus ursprünglich gewünscht hatte. Die Kosten für die Versetzung über etwa 60.000 € übernahm im Wesentlichen die Jubiläumsstiftung der Sparkasse Neuss, der Rest wurde aus dem Kulturetat bestritten.

Max Bill hatte sich über Jahrzehnte hinweg mit dem Thema der "unendlichen Schleife" beschäftigt. Tatsächlich wirkt das Stadteingangszeichen wie eine Hommage an den bedeutenden Schweizer Künstler - auch wenn die Oberfläche des Stadteingangszeichens aus drei Teilflächen / drei Seitenflächen besteht (anstatt aus nur einer einzigen bei den „Unendlichen Schleifen“ von Max Bill, die ein Möbiusband darstellen). Max Bill widmete Josef Neuhaus ein Gedicht [vgl. Skulpturen in Neuss, S. 74]:

„für josef neuhaus“

sie sind fest
sie sind kühl
sie sind scharf
sie sind weiß
könnten sie bunt sein
könnten sie schwarz sein
könnten sie klein sein
könnten sie weich sein
sichtbar ist die hülle
sichtbar ist die leere
sichtbar ist das zwischen
sichtbar ist die masse
fühlbar ist die grenze
fühlbar ist der zustand
fühlbar ist der körper
fühlbar ist das leere
das leere sind die schlitze
das leere ist die durchsicht
das leere ist im innern
das leere ist rundherum
das leere ist der zugang zum geheimnis
dass massive birgt das unbekannte
das sichtbare ist die äussere beziehung
das innere wird gefüllt vom empfinden
so werden die magischen blöcke und gitter
zu gefässen
zu verpuppungen
von gedanken die darin wachsen und
daraus entschweben
[Max Bill]

Der Verstand ist es, der die endlose Schleife erkennt. Und das Verstandesmäßige, das Formale ist selbstverständlich ein Teil dieser Arbeit. So ist die Ästhetik der Skulptur wesentlich bestimmt durch die beiden senkrechten Symmetrieebenen. Doch an den Arbeiten von Neuhaus schätzt der Liebhaber vor allem das, was nur erfühlt werden kann. Da ist zuvörderst der Kontrast zwischen den harten Kanten und dem harten Material mit ... mit dem Nichts: Die Masse umschließt kein Volumen; Der Geschlossenheit der Linie steht die Offenheit der Form gegenüber, die den Raum zwischen der gewundenen Linie nirgendwo einzufangen vermag.

«Und doch wirkt die Plastik statisch und wie ein abstraktes und monumentales Symbol des Unveränderlichen.»
[Dr. Christian Frommert, Skulpturen in Neuss, S. 73]

Das "sehen" wir ganz anders! Denn nach einer Weile fragt man sich, warum Neuhaus wohl diese vertikal in die Länge gezogene Form wählte? Würde diese Schleife - in der Vertikalen verkürzt - nicht z.B. wunderbar in eine Kubus-Form (als gedachte Hülle, als "Box") passen? Die Skulptur erschiene auf diese Weise noch "geometrischer", weil noch mehr Symmetrien! Nein, Neuhaus interessieren diese langen, vertikalen Abschnitte - gleich aus mehreren Gründen. Ganz ähnlich wie bei seinem Quader-Kantenmodell Ohne Titel (1997) erzielen die senkrechten Kanten und Flächen - für sich betrachtet - ein Licht- und Schatten-Spiel von kontemplativer Wirkung. Dieser mittlere Teil der Skulptur verkörpert Starre und Festigkeit - ja. Nun haben die senkrechten "Pfeiler" aber die Aufgabe, zu verbinden: sie tragen das Oben und stützen sich auf das Unten der Skulptur. Das Oben und das Unten der Skulptur verkörpern - jeweils für sich betrachtet - Energie. Bewegungsenergie. Das Auge gleitet unermüdlich an den Kanten der Skulptur entlang und folgt den Schwüngen - wie in einer Achterbahn. Das Auge findet gewissermaßen keinen Halt - es schmiegt sich nur an. Kräfte kommen hinzu: konzentriert man sich etwa auf das oberen Ende, so scheint eine Kraft die beiden "Bügel" oder "Flügel" der Skulptur am unteren Ende auseinanderbiegen zu wollen - als ob der Bogen am vorderen unteren Ende der Skulptur nach vor klappen wollte. Entsprechend scheinen die beiden "Flügel" am oberen Ende der Skulptur nach links und rechts klappen zu wollen, wenn man sich auf das untere Ende der Skulptur konzentriert. Wie bei dem Vexierspiel, bei dem man mal die junge, mal die alte Frau sehen kann, "trennen" die langgezogenen senkrechten "Pfeiler" der Skulptur diese beiden so unterschiedlichen Bewegungsenergien.

Mehr: [Film (YouTube) mit Dr. Uta Husmeier-Schirlitz, Clemens-Sels-Museum, über Neuhaus und sein Werk] ⋅ [Sparkasse Neuss, 14. Oktober 2020] ⋅ [Stadt Neuss, 2020]

[Foto: © 3/2013 tew. Alle Rechte vorbehalten]