SkulpTour Bochum

Lee Ufan (*1936 Kyongnam/Korea, lebt und arbeitet in Kamakura / Japan und Paris): Relatum (1978)

Vier Eisenplatten, vier Steine, ca. 250 x 180 x 250 cm.
Standort: Schlosspark Haus Weitmar. Geschenk des Künstlers an die Stiftung Situation Kunst.

Wenn die Findlinge für die unberührte und unbestimmte Natur stehen und die industriell gefertigten Stahlplatten für das vom Menschen geschaffene Künstliche, so zeigt Relatum, wie sich beides gegenseitig bedingt. Die kalt und grob wirkenden Eisenplatten scheinen auf der einen Seite dem Natürlichen zu entwachsen, sie werden auch von den Steinen gestützt. Sie erheben sich jedoch auch über die Steine. Das Natürliche auf der anderen Seite wird in ein Schema gepresst, abgeteilt, vereinzelt. Die Steine behalten jedoch in ihrer Einzigartigkeit eine starke Ausdruckskraft.

»Weder das Auge noch der Verstand können
die Stille in Lee Ufans Verständnis erfassen.«
[Galerie m Bochum]

In der damaligen japanischen Kolonie Korea studiert Ufan zunächst Kalligrafie, Dichtung und Malerei, später Philosophie und Literatur, u.a. Laotse und seinen Nachfolger Zhuangzi. Weil er die japanische Besatzung und die damit einhergehenden Industrialisierungsprozesse kritisch sieht, wird ihm schließlich das Studium verwehrt, Ufan siedelt 1956 nach Japan über. Dort nimmt er an der Nihon-Universität ein Studium der ostasiatischen und europäischen Philosophie auf. Angeregt durch die traditionelle japanische Malerei, entstehen 1961 erste Arbeiten in Tusche und Öl, 1967 hat er seine erste Einzelausstellung in der Sato Gallery in Tokio. Ab 1968 enstehen auch skulpturale Arbeiten. Sich als Künstler individuell und kreativ in seiner Kunst auszudrücken wurde in seiner Familie und der Gesellschaft, aus der Ufan stammte, kritisch gesehen. Der konfuzianische Meister Dong-cho, dessen Prinzipien Ufan kannte, hielt Kunst gar für bloße Ablenkung und Zerstreuung. 1968 wird Ufan dann die Schlüsselfigur bei der Gründung der japanischen Künstlergruppe Mono-ha, die in ephemeren, minimalistischen Installationen die Wechselbeziehung von Raum und Materie und Wahrnehmung untersucht. Für ihre Kunstwerke verwenden sie bevorzugt Natur- und Rohmaterialien sowie industrielle Halbfertigprodukte. Das Kunstwerk verstehen die Künstler des Mono-ha eher als Neuanordnung von Vorgefundenem, das dadurch in Beziehung tritt mit dem umgebenden Raum und das dadurch die Wahrnehmung verändert - weniger als schöpferischen Akt oder als Ausdruck seitens des individuellen Künstlers. In einer Haltung, die sich gegen Konsum und Moderne richtet, wird die Wirkung der Nicht-Handlung [die Abwesenheit einer Handlung als eine Handlung in sich] und Nicht-Skulptur untersucht. Auf der 7. Pariser Biennale 1971 repräsentiert Ufan Südkorea - sein Debut in Europa. Die Galerie m, Bochum, zeigt 1975 seine erste Einzelausstellung in Deutschland (und seither regelmäßig). 1977 nimmt er an der Documenta 6 in Kassel teil. Er lebt nun in Paris und Tokio. An der Kunsthochschule Tama in Tokio hat er von 1973 bis 1990 eine Professur inne. Seine Arbeiten wurden international gezeigt, so etwa am National Museum of Art, Osaka (1990) [die erste vergleichende Ausstellung von Mono-ha and Minimal Art], an der Fondazione Mudima, Mailand, sowie im National Museum of Contemporary Art, Gwacheon, Korea (1994), am Museum of Fine Arts, Gifu, Japan, sowie am Musée d’Arte Moderne de Saint-Étienne, Frankreich (1995) ["Matter and Perception 1970: Mono-ha and the Search for Fundamentals"], am Solomon R. Guggenheim Museum, New York (2011), am Château de Versailles (2014), an der Eremitage, Sankt Petersburg (2016), am Centre Pompidou-Metz (2019), am Dia Beacon (2019) oder am Hirshhorn Museum and Sculpture Garden (2019). 1990 wurde Lee zum Chevalier de l’Ordre des Arts et des Lettres ernannt, 2007 zum Ritter der Ehrenlegion. Eine Gastprofessur führte ihn 1997 an die École Nationale Supérieure des Beaux-Arts de Paris. Auch in Japan wurden ihm etliche Preise zuteil, genannt sei hier die Auszeichnung mit dem renommierten Praemium Imperiale 2001 für sein malerisches Werk. Im gleichen Jahr wurde ihm der Ho-Am Preis der Samsung Foundation, Korea, verliehen. 2010 wurde auf der Insel Naoshima, Japan, das Lee Ufan Museum eröffnet, entworfen vom japanischen Architekten Ando Tadao. Es widmet sich dem Werk Ufans. Zu diesem Zweck wird auch das Hotel Vernon in Arles umgebaut; im Frühjahr 2022 wird es als Lee Ufan Arles eröffnet werden und in einer ständigen Ausstellung Gemälde und Skulpture Ufans zeigen. Ufan veröffentlichte über 17 Bücher - von Dichtung über Kunstgeschichte und -kritik bis hin zur Philosophie.

Weiterführende Hinweise:

[ Lee Ufan, Lisson Gallery ]
[ Lee Ufan, Galerie m, Bochum ]
[ Ashley Rawlings: An Introduction to 'Mono-ha'.
Tokyo Art Beat, 26. November 2009 ]
[ Lee Ufan. Inhabiting time. Centre Pompidou-Metz,
27. Februar bis 30. September 2019 ]
[ Lee Ufan Museum, Naoshima, Japan ]

[Foto: © 10/2010 tew. Alle Rechte vorbehalten]