Die Welt des Ulrich Rückriem

*30. September 1938 in Düsseldorf, lebt in Köln und London



Siglo XX (1995)


«Der Werk wird zu einem Ort, der sich dem offenen Raum der Projektionen aufschließt.»
[José Lebrero Stals, in [Ehrhardt 1997]]







[Foto: mit freundlicher Erlaubnis © 6/2011 Luis Sanmiguel, flickr. Alle Rechte vorbehalten]




Die Arbeit Siglo XX (1995) ist auf freiem Feld in der Nähe von Abiego in der Provinz Huesca im Norden Spaniens, am Hang der Pyrenäen installiert. 20 Steinstelen aus Rosa Porriño Granit, je 300 x 100 x 100 cm, sind in Form einer Lösung des Damenproblems auf einem virtuellen Schachbrett mit 20 x 20 Feldern aufgestellt. Für die schachmathematische Aufgabe, 20 Damen auf einem 20 x 20 Felder großen Schachbrett so anzuordnen, dass sie sich nicht gegenseitig schlagen können, gibt es dabei 4.878.666.808 verschiedene Anordnungen - "verschieden" dabei in dem Sinne, dass sie jeweils nicht durch Drehung oder Spiegelung des Schachbretts ineinander überführt werden könnten.

Diese Arbeit verbindet mehrere Aspekte, die für Rückriems Werk bedeutend sind:

Der Betrachter wird einerseits die Nähe und Präsenz der einzelnen Steine wahrnehmen, andererseits wird er die Ausblicke in die weite Landschaft und in die Berge "atmen", die das offene Ensemble evoziert. Er wird individuelle Eigenheiten der einzelnen Steine entdecken, ebenso wie er die Installation als Ganzes verstehen wird. Und manch einer mag sich wundern, weshalb Rückriem gerade diese eine (von 4.878.666.808 möglichen) Anordnungen wählte, um sie in diese wunderschöne Landschaft zu "werfen"...

«Das Natürliche und das Gestaltete,
die Form und der Zufall,
Minimalismus und Monumentalität:
Seit mehr als dreißig Jahren kombiniert der Bildhauer Ulrich Rückriem
in seinem Oeuvre Gegensätze, die scheinbar unvereinbar sind.»
[Ulrich Clewing, 2005]

Die Installation Siglo XX (1995) ist die erste Realisierung des auf dem Damenproblem basierenden Konzepts. Das Konzept geht auf Mitte der 1980er Jahre zurück. Als Scharnier zwischen den singulären, geteilten Steinen einerseits und einer Installation aus mehreren Steinen - wie hier - mag Rückriems Arbeit für die Biennale von Venedig 1978 gelten, als er einen großen Block vertikal in vier Stücke spaltete, die Teile (entsprechend der Bodenplatten) auseinanderrückte und auf diese Weise den Block "durchschreitbar" machte. Die einzelnen Teile waren hier durch die individuell zusammenpassenden Bruchkanten als zusammengehörig erkennbar.

Für die obere Halle der Neuen Nationalgalerie, Berlin, schuf Rückriem eine auf dem Damenproblem basierende Installation aus 40 Bodenreliefs, die exakt auf den Bodenplatten des Museums wie auf einem Schachbrett liegen. Diese Arbeit wurde erstmals 1998 gezeigt, ein zweites Mal im Jahr 2004 und 2009 ein drittes Mal: jede Mal in einer neuen Anordnung. In ihrer Strenge und Reduziertheit nimmt die Arbeit Bezug auf den Minimalismus von Mies van der Rohes Architektur und integriert sich gleichzeitig nahtlos.

Das Neue Museum Nürnberg präsentiert seit 2010 Rückriems aus elf Steinkuben bestehende Installation "Granit bleu de Vire" alle fünf Jahre - so das Konzept des Künstlers - und jedes Mal in einer neuen Anordnung. Auch die elf Steine dieser Arbeit werden - in Analogie zum Damenproblem - auf den quadratischen Bodenplatten des Museums arrangiert. Es gibt 341 verschiedene mögliche Anordnungen.



Literatur und Links

[Ehrhardt 1997] Ulrich Rückriem: Pirineos, Huesca, 1995.
Hrsg. Heinrich Ehrhardt, Cantz Verlag, 1997
[CDAN] Dokumentation auf den Seiten des CDAN - Centro de Arte y Naturaleza, Fundación Beulas, Huesca
[Kliege 2000] Melitta Kliege: Ulrich Rückriem - eine Installation. Huesca, Manchester, Berlin, Sinsteden, Glarus, Nürnberg. Hrsg. Neues Museum in Nürnberg, Verlag für Moderne Kunst, 2000 [14 x 20 cm, 52 Seiten] [Dokumentiert verschiedene Varianten der Werkreihe nach dem "Damenproblem" im Kontext. Eine wunderbare Einführung in das Werk Rückriems entlang dieses Konzepts.]
[Clewing 1995] Ulrich Clewing: "Das Material darf nicht zu schön sein":
Zu Ulrich Rückriems Installation in Berlin
.
Deutsche Bank ArtMag, 2005
[NMN 2005] Ulrich Rückriem. Eine Installation.
Neues Museum Nürnberg, 2005




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Dr. Emden-Weinert Version 1.2 created: 2013/05/30, last changed: 2016/08/18