Die Welt des Ulrich Rückriem

*30. September 1938 in Düsseldorf, lebt in Köln und London



Leben

«Was ich mache ist das Minimalste, das Einfachste,
und ich glaube, dass das wichtig ist, dass es die Menschen dazu bringt,
genauer hinzugucken, wenn es wenig zu sehen gibt.
Judd hat einmal gesagt, dass die Künstler oft etwas
aus einem Gefühl des Unbehagens heraus machen.
Oft ärgerst Du Dich über das, was Du siehst oder kennst,
und dann suchst Du nach einer Wahrheit,
nach einer Klarheit der Handlung,
nach einer Objektivität.»
[Ulrich Rückriem, zitiert nach Paul Hefting:
Tema's en variaties. Een interview met Ulrich Rückriem.
In: Museumsjournaal, Amsterdam, 1/1977, S. 8-14]

Rückriem absolvierte von 1957 bis 1959 eine Steinmetzlehre in Düren. Im Anschluss arbeitete er bis 1961 an der Dombauhütte in Köln; parallel studierte er beim Bildhauer Ludwig Gies an den Kölner Werkschulen Seit 1962 arbeitete er als freier Bildhauer. Im Frühjahr 1968 besuchte Rückriem die Ausstellung "Minimal Art" in Den Haag, im Sommer reist er nach New York. In diesem Jahr begann er, noch von Nörvenich aus, erste Skulpturen durch Spalten und Wieder-Zusammenfügen von Steinblöcken zu schaffen. Im folgenden Jahr zog er nach Mönchengladbach und bezog zusammen mit Blinky Palermo ein gemeinsames Künstleratelier. In den folgenden Jahren wurde er zu den bedeutendsten Ausstellungen eingeladen:

1972 Documenta 5, Kassel
1977 Skulptur-Projekte Münster
1978 Biennale di Venezia (zusammen mit Dieter Krieg)
1982 documenta 7, Kassel
1984 „von hier aus“. Messehalle, Düsseldorf. Die spektakuläre Schau
vereinte alle relevanten Positionen der Gegenwartskunst
1987 documenta 8, Kassel, sowie Skulptur-Projekte Münster
1992 documenta IX, Kassel

1974 folgte er dem Ruf auf einen Lehrstuhl für Bildende Künste an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Ab 1984 lehrte er an der Kunstakademie Düsseldorf und ab 1988 an der Städelschule in Frankfurt am Main.

Dem Kulturzentrum Sinsteden angegliedert, wurden 1994 in Rommerskirchen-Sinsteden die Skulpturen-Hallen Ulrich Rückriem eröffnet, wo auf über 2000 qm über 100 Skulpturen präsentiert werden. Die Präsentation wurde von Rückriem selbst gestaltet, vermittelt also einen Eindruck von seiner persönlichen Sichtweise auf seine Skulpturen.

Anlässlich seines 70. Geburtstages überließ der Künstler 2008 sein Archiv den Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum.

Ulrich Rückriem lebt heute in Köln und London. Lange Zeit lebte er auch in Clonegal, Irland, und Agon, Normandie.


Werk

Zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn experimentierte Rückriem mit unterschiedlichen Techniken von der Aktionskunst bis zur Videokunst. Es entstanden konstruktive Holzbalkenskulpturen sowie Skulpturen aus Bandeisen. Seinen Lebensunterhalt bestritt der gelernte Steinmetz vorwiegend durch Portraitarbeiten und Grabplastiken.

«Rückriem ist ein Meister der Monumentalität,
aber es ist eine Monumentalität der Natur, nicht der Kunst.
Bei ihm dürfen die Steine sein, was sie sind:
schwer, ungeschlacht, von Quarzadern durchzogen,
von Wind und Wetter, von farbigen Ausblühungen und Korrosionen gezeichnet.»
[Ulrich Clewing, 2005]

Rückriems Arbeiten ab 1968 sind fast immer quaderförmige Steinblöcke - gewissermaßen also ohne eine bestimmte individuelle äußere Form. Die Entwicklung der modernen Bildhauerei beeinflusste Rückriem insbesondere dadurch maßgeblich, dass seine Arbeiten die Vorgänge der Steinbearbeitung im Steinbruch veranschaulichen. Die Arbeitsschritte sind dabei Spalten und Sägen, manchmal auch Schleifen und Polieren. Am Ende werden die Teile wieder zum ursprünglichen Block zusammengefügt, ihr Eigengewicht verbindet die Teile unverrückbar. Alle Spuren der Bearbeitung bleiben sichtbar: Bohrlöcher - wie Perlen entlang eines haarfeinen Risses im Gestein aufgereiht - zeugen von der Spaltung; ein Spalt im Stein, wie mit dem Lineal gezogen, zeugt von der Dicke des Sägeblatts. Oft finden sich interessante Oberflächenstrukturen, die sich von selbst beim Abplatzen des Gesteins während der Spaltung ergaben.

«Das Material, seine Form, seine Eigenschaften und Ausmaße beeinflussen und begrenzen meine bildnerische Tätigkeit. Arbeitsprozesse müssen ablesbar sein und dürfen nicht von nachfolgenden verwischt werden. Die von mir am Material vorgenommenen Bearbeitungen bestimmen das Objekt selbst und dessen Beziehung zum neuen Standort.»
[Ulrich Rückriem, 1973]

Die Steinblöcke sucht Rückriem im Steinbruch aus und lässt sie nach seinen Vorgaben mit den üblichen Steinmetz-techniken bearbeiten.

«Ich will die Balance von Material und Arbeitsprozess, Form, Maß und Ort.»
[Ulrich Rückriem, 1988]

Lange bleibt Anröchter Dolomit, gewonnen aus Steinbrüchen in der Nähe von Soest, sein bevorzugter Werkstoff, da er sich besonders gut rechtwinklig und eben spalten lässt. Seit Anfang der achtziger Jahre erbeitet Rückriem auch mit Granit, Schiefer, Holz sowie Gusseisen und Stahl.

Der Betrachter mag mit den Steinen Rückriems Grabstelen versunkener Kulturen assoziieren oder Tempeltore archaischer Religionen. Rückriem selbst lehnt inhaltliche Bezüge strikt ab. Konsequent verzichtet er dementsprechend auf Werktitel und gibt seinen Werken lediglich Bezeichnungen, die Material und Herstellungsprozess beschreiben.


Ehrungen und Preise

1983 Edwin-Scharff-Preis für Bildhauerei der Freien und Hansestadt Hamburg
1984 Konrad-von-Soest-Preis, Landschaftsverband Westfalen-Lippe
1985 Arnold-Bode-Preis, Kassel
1998 Piepenbrock Preis für Skulptur
2001 Großer Kulturpreis der Sparkassen-Kulturstiftung Rheinland
2015 Kulturpreis des Kreises Düren

Einzelausstellungen (Auswahl)

1964 Skulpturen in Stein und Holz. Leopold-Hoesch-Museum, DürenK
1969 Galerie Konrad Fischer, Düsseldorf (erste Skulpturenausstellung)
1970 Steine und Eisen. Museum Haus Lange, KrefeldK
1973 Skulpturen 1968 - 1973. Städtische Kunsthalle Tübingen / Städtisches Museum MönchengladbachK
1976 Museum of Modern Art, OxfordK
1977 Stedelijk van Abbemuseum, EindhovenK
1978 Museum Folkwang, Essen / Städtisches Kunstmuseum BonnK
1979 Kunsthalle der Stadt BielefeldK
1983 Centre Georges Pompidou, Paris; Raum für Kunst, HamburgK
1984 Städtische Galerie im Städel, Frankfurt am Main, 17. Mai - 19. August 1984 (Städel-Garten bis Frühjahr 1985)K; Ulrich Rückriem - Skulpturen für Hamburg. Ein Projekt von Kunst im öffentlichen Raum, Kulturbehörde Hamburg, mit Arbeiten im Außenbereich und in InnenräumenK
1985 Westfälisches Landesmuseum, Münster;K Staatliche Kunstsammlung, Neue Galerie, Kassel
1986 Rijksmuseum Kröller-Müller, Otterlo
1987 Ulrich Rückriem - Skulpturen. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Düsseldorf, Kölnischer Kunstverein, Städtisches Museum Abteiberg Mönchengladbach.K
1989 Palacio de Cristal, Reina Sofia, MadridK
1991 Centre d'Art Contemporain, Genf; Kunstmuseum WinterthurK
1992 Kunsthalle Esplanade, IngolstadtK
1993 Halle Zeche Zollverein, Essen
1995 Lenbachhaus MünchenK
1997 Stedelijk Museum AmsterdamK
1998 Neue Nationalgalerie, Berlin [Skulptureninstallation von 40 flachen, auf fünf Seiten gesägten, auf der Oberseite jedoch unregelmäßig gehaltenen Granitplatten in der Größe der Bodenplatten der Halle, exakt auf den Bodenplatten sitzend, über die Halle verteilt.]
2000 Neues Museum, Nürnberg [11 Granitwürfel auf einem quadratischen Feld von 11 x 11 Bodenplatten. Die Würfel werden alle 5 Jahre in einer neuen Konstellation gezeigt]K
2002 Kunstmuseum Bonn
2003 Gemeentemuseum Den Haag
2004 Neue Nationalgalerie, Berlin; Quadrat Bottrop - Josef Albers Museum, Bottrop
2005 Neues Museum in Nürnberg; Kunsthalle Hamburg
2006 “The Shadow of the Stones”, Museum of Modern Art, Oxford
2007 “Zeichnungen”, Sprengel Museum Hannover, Hannover; “Ikarus: 7 Punkte, 7 Linien, 5 Flächen”, Museum Ludwig, Köln
2008 Nationalmuseum für Gegenwartskunst, Athen
2009 40 Bodenreliefs, 3. Variation 2009. Neue Nationalgalerie, Berlin, 19.03. bis 26.04. 2009
2012 Ulrich Rückriem. Neue Arbeiten. Leopold-Hoesch-Museum, Düren, 11.03 bis 13.05. 2012
2013 Ulrich Rückriem - Zeichnungen, freie Figuration. Solinger Kunstverein / Kunstmuseum Solingen, Solingen-Gräfrath, 10. 02. bis 07. 04. 2013

Literaturempfehlung

[Ehrhardt 1994] Heinrich Ehrhardt (Hrsg.): Ulrich Rückriem - Arbeiten.
Oktagon, Stuttgart, 1994
[Buchbesprechung]
[Hohmeyer 1988] Jürgen Hohmeyer: Ulrich Rückriem.
Verlag Silke Schreiber, München, 1988
[Buchbesprechung]
[Zollverein 2011] Stiftung Zollverein (Hrsg.): Kunstführer Zollverein.
Klartext-Verlagsges., 2011
[96 Seiten, zahlr. farb. Abb.]
[Buchardt 2011] Thomas Buchardt: Ulrich Rückriem - Arbeiten in Nordrhein-Westfalen.
Kerber Verlag, 2011.
[Mit einem Beitrag von Dr. Kathrin Wappenschmidt zu den Skulpturen-Hallen Ulrich Rückriem in Sinsteden. 136 Seiten, 19 x 13 cm, mit 63 farbigen Abbildungen]
[Buchbesprechung auf Portal Kunstgeschichte]
[Semler] Ulrich Rückriem - Ein Portrait.
Ein Film von Ulrich Semler, DVD, 42:49 min, Technik: Markenfilm Hamburg, Produktion: Galerie Sfeir-Semler, Hamburg / Beirut

Links



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