SkulpTour Main-Metropole

Timm Ulrichs (*1940 Berlin, lebt und arbeitet in Hannover, Berlin und Münster): Versatzstück (1969 / 2001)

Beton, farbig gefasst, Pappel. Standort: seit 2009 in Eschborn,
Elly-Beinhorn-Straße / Katharina-Paulus-Straße.

Was zunächst wie ein Gag daherkommt, offenbart sich - nach Jahren wieder hervorgeholt - als kritischer Kommentar zu unserem Naturverständnis und unserer Wirtschaftsform: wird doch - wenn mensch weiterhin in einem Ausmaß Flächen frisst wie bislang - in absehbarer Zukunft "Natur" nur noch musealisiert, also in Nationalparks, oder als Dekor auf Abruf in Gärten oder eben: Blumentöpfen kultiviert zu bewundern sein. Der Mensch verfügt über die Natur - über ihr Ob, Wo und Wie-lange - als sei sie ein Versatzstück...

Ulrichs ist Konzept- und Performance-Künstler. Er bezeichnet sich selbst als ‚Totalkünstler' und scheint darunter den Anspruch zu verstehen, den Kunstbegriff ebenso regelmäßig wie radikal auszuweiten und systematisch Gattungsgrenzen auszumachen, um sie zu überschreiten. Er stellte sich selbst in einem Glaskasten als „lebendes Kunstwerk“ aus, ließ sich 1981 nackig in einem riesigen Findling 10 Stunden lang einschließen und die Worte „The End“ auf's Augenlid tätowieren. Ulrichs hatte 1969 - 70 eine Gastprofessur an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste Braunschweig inne, von 1972 bis 2005 eine Professur für Bildhauerei und Totalkunst an der Staatlichen Akademie Münster. 1977 nahm er an der documenta 6 in Kassel teil. Europaweit wurden Ulrichs Einzelausstellungen gewidmet, zahlreiche Preise wurden ihm zuteil.

Bildnerischer Mittel setzt Ulrichs gerne ein, um die Sehgewohnheiten des Betrachters zu befragen (wie etwa bei Versunkenes Dorf), eine Standortbestimmung einzufordern (wie etwa bei Erdachse) oder seine Erwartungshaltung zu enttäuschen. Bei seinen Tanzenden Bäumen 2008 im Kurpark Bad Homburg (anlässlich der Blickachsen 7) etwa fingen drei motorbetriebene Birken plötzlich an, sich wie wertvolle Ausstellungsstücke zu drehen, sobald der Spaziergänger sich ihnen näherte. Ulrichs spielt mit Sprache, Sinnbildern und Mehrdeutigkeiten. In Hannover beispielsweise pflasterte er einen Weg mit seinem Kopf: Kopfsteinpflaster, in Nürnberg applizierte er eine Baum-Krone. Auch zur zeitgenössischen konkreten Poesie lieferte Ulrichs Beiträge, man vergleiche etwa das Werk Umraum in Essen. 2012 wurde Ulrichs in die Stiftung für Konkrete Kunst und Design, Ingolstadt, aufgenommen.

[Foto: 8/2010 Karsten11, Wikimedia Commons. Lizenz: public domain]