SkulpTour Lüdenscheid

Ansgar Nierhoff (*1941 Meschede/Westfalen †2010 Köln):
Drei Volumina (1974/1975)

Edelstahl, dreiteilig. Standort: Stadtgarten am Kulturhaus Lüdenscheid (1975 zunächst am Rathausplatz aufgestellt). Mit Unterstützung der Kunstfreunde Lüdenscheid konnte die 2002 beschädigte Skulptur 2013 am neuen Ort wieder aufgestellt werden. Die drei "Blechdosen", wie sie der Volksmund nannte, zählen zu Nierhoffs Frühwerk. Wie auch eine ähnliche Arbeit, Drei Volumina (1975) in Brühl, thematisiert sie "Gleiches ungleich". Nicht weniger wird der Aspekt der Vergänglichkeit von vermeintlich Perfektem in den Blick gerückt. Die allzu korrekte Form des Quaders (rechte Winkel, wohin man sieht), der Glanz des Edelstahls: ihr zerknautschter Zustand lässt an den "Schmerz" denken, den ein Unfall mit einem Neuwagen produziert.

Ab 1978 wird Nierhoff nur noch mit massivem Eisen und Schmiedetechnik arbeiteten. Schon in seinem Frühwerk in Edelstahl jedoch scheint Nierhoffs Interesse am Prozesshaften der Kunst durch. Sein Augenmerk gilt hierbei nicht nur den Kräften, die materielle Verformungen bewirken, sondern insbesondere der Diskrepanz zum Form-, Material- und Kunstkonzept, das der Betrachter mitbringt. (Später wird Nierhoffs Interesse stärker der Veränderung der Raumwirkung am Aufstellungsort gelten.) Nierhoff war durch und durch Plastiker, auf der materiellen ebenso wie auf der geistigen und räumlichen Ebene. In den heftigen Reaktionen der Bevölkerung auf die Aufstellung der Plastik 1975 äußert sich vor allem eines: ein Sich-Unverstanden-Fühlen. An dieser Stelle ist es hilfreich zu klären, was Nierhoffs Plastik alles nicht ist: Diese Arbeit aktiviert kein Gefühl des In-der-Gemeinschaft-aufgehoben-Seins, wie das etwa eine arglose spielerisch-figürliche Plastik oder auch ein mit örtlicher Vorgeschichte narrativ aufgeladenes Kunstwerk vermag. Kunst als ein die Seele erhebender, ästhetisch-erbaulicher Fluchtpunkt interessiert Nierhoff ebensowenig. Statt dem Kunstsinnigen erquickende Lebensenergie zu spenden, stellen sich seine "Blechdosen" quer, versinnbildlichen eben diejenige blanke Gewalt und Respektlosigkeit, die dem "traditionellen" homo civilis von Kindes Beinen aberzogen wurden, um in der Gesellschaft zu "funktionieren". So stellt Nierhoff indirekt das Lebenskonzept des Betrachters, seine gesellschaftliche Anpassungsleistung und das damit verbundenene Opfer an Vitalität, infrage. Da die Wucht der Irritation für den einzelnen nicht mittels eines Schlüssels zum Verständnis produktiv kanalisierbar war, brach sie sich in Form verbaler Aggression ihren Weg.

Heute begegnet uns der in Nierhoffs Arbeit verkörperte non-konforme kreative menschliche Energie- oder Antriebsüberschuss etwa bei den sogenannten disruptiven Innovationen, die ganze Märkte umkrempeln, wie z.B. Uber, AirB&B, amazon (das zunächst lediglich den Buchhandel anzugreifen schien, wo heute aber deutlich wird, dass der ganze klassische Einzelhandel ein Nischenmodell geworden ist), selbstfahrende Lkw, Online-Banking / -Credit / -Versicherungen und vielen anderen Geschäftsmodellen, die Millionen von Menschen in traditionellen Berufen arbeitslos werden lassen.

Man verpasse Nierhoffs faszinierende Wandarbeit „Faltung“ (ca. 2 x 3 m groß) im Treppenhaus der Städtischen Galerie Lüdenscheid nicht: der erste Blick erkennt einen großen Filzteppich mit Falzspuren - bei näherem Hinsehen wird man gewahr, dass es sich tatsächlich um massives Eisen handelt.

Für Fotografen scheinen die Drei Volumina eine Quelle der Inspiration
zu sein, hier eine kongeniale Umsetzung mit einem Fotomodel:
[Abbildung 1] [Abbildung 2]

[Foto: 2/2017 tew. Lizenz: Creative Commons Namensnennung - nicht kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen]