SkulpTour Kiel

Hans-Jürgen Breuste (*1933 Hannover †2012 ebd.):
Wik oder Feuer aus den Kesseln (1978-82)

Granit und CorTen-Stahl, ca. 6 m hoch.
Standort: Ratsdienergarten, nahe Jensendamm.
Breuste interessiert sich für Umbrüche, für Konflikte und Krisen in der Geschichte - letztlich also für die Quellen unseres Friedens und unserer Freiheit. «Matrosen und Arbeiter dieser Stadt gaben im Jahre 1918 den Anstoß, dass das Kaiserreich zusammenbrach und der Weg zu demokratischen Reformen und zur Republik eingeschlagen wurde.«[1] Mit Wik setzt Breuste dem Kieler Matrosenaufstand vom November 1918 ein künstlerisches Erinnerungszeichen, der verkannten Revolution ein "Revolutions-Denkmal".

4 Jahre dauerte der Erste Weltkrieg, die „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts [George F. Kennan, Diplomat und Historiker]. Danach ist in Europa nichts mehr, wie es vorher war. Annähernd 40 Staaten sind in den Krieg involviert, 60 Millionen Soldaten sind beteiligt (allein in Deutschland über 13 Millionen), die „Knochenmühle“ tötet 9 Millionen von ihnen: gestorben durch Giftgas, im Maschinengewehrfeuer, an Erschöpfung im Schützengraben. Hinzu kommen 20 Millionen Verwundete und Millionen ziviler Opfer.

»Der 9. November 1918 war in seinem letzten Grunde der Tag der Selbsthilfe eines gequälten Volkes, das zu seiner Führung kein Vertrauen mehr besaß und sich anschickte, sein Schicksal selbst zu schmieden. (...) Wer den 9. November feiert, preist nicht das Werk einiger Verschwörer, sondern den Sturmtag des neuen Deutschland, an dem das Volk die Probe auf seine politische Reife und die Fähigkeit der Selbstverwaltung bestand. Die Republik war der Friede.« [Carl Severing (SPD), Reichsinnenminister, 9. November 1928, in einer Radioansprache]

»Das Kaiserreich (1871-1918) stirbt den Erschöpfungstod. (...) Der Aufstand beginnt aber gar nicht in der Hauptstadt, sondern in Wilhelmshaven und Kiel, wo sich zahllose Matrosen weigern, zu einem letzten, sinnlosen Gefecht [Flottenbefehl vom 24. Oktober 1918, TEW] gegen die Briten auszulaufen [obschon die Niederlage Deutschlands bereits feststand, TEW]. Sie holen "Meuterer" [also Matrosen-Kameraden, TEW] aus dem Gefängnis und stellen moderate politische Forderungen. Die Matrosen verbünden sich mit Fabrikarbeitern - sie wollen, dass der Krieg, das Morden, das Leiden endlich aufhört. Frieden lautet das Zauberwort. Arbeiter- und Soldatenräte gründen sich, Delegationen reisen durch das Land, das Revolutionsfieber erfasst in den ersten Novembertagen Nord- und Mitteldeutschland.« [Robert Probst[2]]

Von der Rechten werden die Aufständigen von 1918 von Anfang an als "Novemberverbrecher" beschimpft. Und kein Feiertag ehrt die Geburtsstunde der Republik und diejenigen, die sich hier vor 100 Jahren (zum zweiten Male nach 1848) für die Freiheit erhoben - weder in der Weimarer Republik noch heute. Aus Furcht vor einem Bürgerkrieg - den man in Russland vor Augen hat - versuchte die junge Republik, sich mit den alten Eliten zu arrangieren: Aufstände wie der sogenannte Spartakusaufstand im Januar 1919 werden gewaltsam niedergeschlagen - im Bündnis mit der Obersten Heeresleitung (OHL) und mit Hilfe rechtsgerichteter Freikorpstruppen. Die Dolchstoßlegende nimmt ihren Lauf. 1934, unter der nationalsozialistischen Herrschaft wurden SPD-Mitglieder, die auf dem Kieler Eichhof-Friedhof mit einem Gedenkstein an die Opfer der Revolution erinnern wollten, verhaftet.

(...) die Kieler tun sich schwer mit ihrer republikanischen Vergangenheit. Sie zogen es bisher allemal vor, sich mit den Insignien der guten, alten Ordnung zu schmücken. Da gibt es selbstverständlich die Tirpitz-Mole zum Gedenken an den kaiserlichen Flottenbauer, das Ehrenmal in Laboe, wo die Marine nachträglich die Skagerrak-Schlacht gewinnen darf und das Hindenburg-Ufer nebst einem weihevollen Denkmal für Kaiser Wilhelm I. [Gerhard Spörl[3]]

Seit der Reichsgründung 1871 hatte Kiel die „Ehrenbezeichnung" Kriegsmarinestadt. Das Bismarck-Denkmal, Kaiser Wilhelm I. zu Pferde, das Kriegerdenkmal an den gewonnenen Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 sowie natürlich das U-Boot-Ehrenmal Möltenort und das Marine-Ehrenmal in Laboe beherrschen Plätze und Orte.
[Eckhard Colmorgen, Bernhard Liesching[1]]

Im April 1978 - angesichts des 60. Jahrestages der „November-Revolution" - sprach sich die sozialdemokratische Fraktion in der Kieler Ratsversammlung für einen „Ideenwettbewerb zur Aufstellung eines künstlerischen Zeichens zur Erinnerung an die Ereignisse vom November 1918" aus. (...) Für die heute noch übrig gebliebenen Monarchisten war die Einschätzung eindeutig. Friedrich-Ferdinand Prinz zu Schleswig-Holstein und gleichzeitig Vorsitzender des Landesverbandes des Deutschen Soldatenbundes Kyffhäuser lehnte ein Mahnmal für „Meuterer" ab. Auch die Ratsherrenfraktion der CDU der Kieler Ratsversammlung wollte die Existenz der Plastik nicht dulden und blieb der Einweihung des „Breuste-Denkmals" fern. Nur der Stadtpräsident, Eckart Sauerbaum, ebenfalls CDU-Mitglied, mochte dem Ansehen seines Amtes nicht schaden und war am 16. Juni 1982 anwesend.
[Eckhard Colmorgen, Bernhard Liesching[1]]

Das Mahnmal – 400 000 Mark teuer – besteht im wesentlichen aus Granit, weil dieser Stein, so dekretierte der Künstler Hans-Jürgen Breuste, auf Macht und Herrschaft hinweise. Die Zeitenwende wird dadurch symbolisiert, dass die Säulen einzustürzen scheinen; und der sie stützende Metallkörper erinnert vage an Seefahrt, ebenso wie der Titel "Feuer aus den Kesseln". Dazu merkte Breuste sibyllinisch an: "Ich würde nach so langer Zeit nicht wagen, ein Erinnerungszeichen zu machen, wenn ich nicht genau wüßte, dass das unheilvolle Feuer brennt, weiterbrennt..." [Gerhard Spörl[3]]

Der Kieler Stadtteil Wik beheimatet den Marinestützpunkt Kiel (Tirpitzhafen). Feuer aus den Kesseln ist ein Schauspiel von Ernst Toller benannt. Es ist den aufständischen Matrosen Albin Köbis und Max Reichpietsch gewidmet, die sich schon im August 1917 für eine bessere Verpflegung der Matrosen und für eine Beendigung des Krieges eingesetzt hatten. Die „Meuterei" der Matrosen auf einzelnen Schiffen vor Wilhelmshaven wurde niedergeschlagen, 76 Matrosen und Heizer wurden zu langen Freiheitsstrafen verurteilt, Max Reichpietsch und Albin Köbis sogar hingerichtet. Insofern waren sie Vorgänger des Kieler Matrosenaufstands vom November 1918, der acht Menschen das Leben kostete. Am Denkmal Wik ist auf einer Metallplatte das folgende Zitat aus dem Schauspiel Feuer aus den Kesseln angebracht:

DER die Pfade bereitet
stirbt an der Schwelle,
doch es neigt sich vor ihm
in Ehrfurcht der Tod.

Zahlreiche Preise und Würdigungen wurden Breuste zuteil, u.a. 1981 der Kunstpreis des Landes Niedersachsen und 2008 das Verdienstkreuz am Bande des Niedersächsischen Verdienstordens.

Mehr:

[1] Eckhard Colmorgen, Bernhard Liesching: Ein Denkmal der Novemberrevolution 1918 in Kiel. Demokratische Geschichte Band 3, Beirat für Geschichte
[2] Robert Probst: Sturm in November, Süddeutsche Zeitung, 2018/10/27
[3] Gerhard Spörl: Ein Denkmal für Meuterer? Kiel tut sich schwer mit der Erinnerung an die Revolution von 1918. Die Zeit, Nr. 25, 18. Juni 1982
[4] KulturSpuren: Denkmal Wik. Landeshauptstadt Kiel, Pressereferat
[5] Martina Drexler: Matrosenaufstand Kiel: Aufbruch in die Demokratie. Kieler Nachrichten, 5. März 2016
[6] Eine diesem Denkmal recht ähnliche Arbeit von Breuste steht in Hannover: Derry (1984). Derry erinnert an den Nordirlandkonflikt.
[7] In anderen westlichen Staaten wären die Männer und Frauen, die das vollbrachten, Nationalhelden. In Deutschland kennt kaum jemand ihre Namen. Warum sich dieses Land immer so schwertat mit den Freiheitsbewegungen seiner Geschichte. Von Joachim Käppner, in: Frei zu sein, Süddeutsche Zeitung, 2018/11/03
[8] Gibt es in Deutschland eine genetisch verwurzelte Angst in offener Situation? Warum so wenig Zutrauen in die Fähigkeit einer Demokratie, einen fairen Weg auszuhandeln? Der Blick in den möglichen Abgrund ["Ende der Volksparteien" ?] lässt vor mutiger Veränderung - gekoppelt mit der notwendigen sozialverträglichen Gestaltung - zurückschrecken. Sei es das zunehmende Auseinanderklaffen der sozialen Schere, der Kohleausstieg, die Dieselaffäre, E-Mobilität, Altersvorsorge, Wohnungsbau, Digitalisierung, eine allmächtige globalisierte Finanzindustrie, Klima,... Müssen Revolutionen sein? Zeigt nicht die Erfahrung, dass es möglich ist, es besser zu machen?

[Foto: 5/2007 VollwertBIT, Wikimedia Commons. Lizenz:
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