SkulpTour Berlin

Peter Eisenman (*1932 Newark / New Jersey, lebt und arbeitet
in New York): Denkmal für die ermordeten Juden Europas
(Holocaust Mahnmal) (2005)

Stelenfeld mit 2711 Stelen, Betonguss, bis 200 cm hoch, innen hohl, Wandstärke rund 15 cm. Standort: nahe des Brandenburger Tors.
Der amerikanische Architekt Peter Eisenman hatte bereits 1984 an der Internationalen Bauausstellung in Berlin teilgenommen und auch eine Blockrandschließung am Checkpoint Charlie gebaut.

Eisenmans Holocaust-Mahnmal in Berlin war anderthalb Jahrzehnte heftig umstritten, auch Bundestagsabgeordnete und der Berliner Bürgermeister standen dem Mahnmal skeptisch gegenüber. Bei Hans Dickel und Uwe Fleckner heißt es lapidar: "künstlerisch unbefriedigende und den Verbrechen letztlich hilflos gegenüberstehende Form des Denkmals" [in: Kunst in der Stadt. Skulpturen in Berlin 1980-2000, Nicolaische Verlagsbuchhandlung, 2002]. Heute wird das Mahnmal überaus geschätzt und von kaum einem Touristen ausgelassen. Das riesige Feld aus eintönigen Betonblöcken unterstreicht (für mich) den Abgrund der NS-Mordmaschinerie in seiner monströsen Dimension. Die systematische Organisation des Verbrechens spiegelt sich darin, wie die Blöcke in Reih und Glied stehen. Ein genauerer Blick offenbart überdies, dass auch die Blöcke alle verschiedenen sind - eine Reverenz an die je eigene Individualität der Ermordeten. Die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, die im Jahr 2000 gegründete Bauherrin, sieht in der kaum merklichen Neigung der Pfeiler und dem scheinbar schwankenden Boden die Möglichkeit, ein „Gefühl der Verunsicherung“ zu erzeugen.

Insbesondere dann, wenn man zwischen den Stelen hindurchwandelt, produziert das bedrückende Feld genau die Fassungslosigkeit, die einen befällt, wenn man sich fragt, wie das menschenverachtende NS-System mitten in Deutschland - unter unseresgleichen - entstehen und funktionieren konnte. Für mich hätte man diesen Abgrund der Nazi-Diktatur nicht besser darstellen können. Wem diese Freiheit der Assoziation zu beliebig scheint, der muss wohl stattdessen Bilder vom Leben in Konzentrationslagern ausstellen, um sicherzugehen, dass alle dieselben konfektionierten Assoziationen haben. Skulptur braucht's dann nimmer...

Im Januar 2017 wurde die Diskussion um das Mahnmal durch den Thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke (der, der vom "vollständigen Sieg" der "fundamentaloppositionellen" AfD spricht und sich Dresden als deutsche Hauptstadt wünscht) neu entfacht, als er das Mahnmal ein "Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt" bezeichnete, eine Formulierung von Martin Walser aus 1998 aufgreifend. Der Publizist Josef Joffe erklärte daraufhin das rituelle NS-Gedenken in Deutschland zu "notwendigen Exorzismus":

»Wir erinnern uns an den Horror
und zelebrieren so dessen Überwindung.«
[Josef Joffe, 2017]

»(...) dass das nie Dagewesene möglich wäre: eine Nation findet sich nicht im Heroischen, im Vergessen und Verdrängen, sondern im Selbstzweifel, in der permanenten Erinnerung an ihr größtes Versagen als Kollektiv wie als Individuen. Das Eingeständnis der Schuld, das Entsetzen und die Trauer führen nicht ins Abseits, sondern im Gegenteil, sie machen das Land plötzlich liebens- und begehrenswert.«
[Dr. Kia Vahland, 2017]

Vahland erinnert ferner daran, dass die Wiedervereinigung Deutschland wohl ebensowenig möglich gewesen wäre wie z.B. auch der fortwährende deutliche Handelsüberschuss Deutschlands (der anderen Staaten in Europa große Probleme bereitet), wenn Deutschland revanchistisch über Vergeltung sinieren würde, anstatt für die historische Schuld Verantwortung zu übernehmen und sich nicht zuletzt auch dankbar zu zeigen für die Befreiung von Hitler-Deutschland. Wirtschaftsschädigend seien am Ende vielmehr rassistische Ausschreitungen in Deutschland, nicht zuletzt durch die Pegida in Dresden.

»Wieso ist der Umgang mit dieser [Anm.: deutschen] Erfolgsgeschichte manchmal so defensiv, kommt eher pflichtschuldig daher als selbstbewusst? (...) Erinnerungskultur ist heute keine Vorwurfskultur mehr; sie dient nicht mehr nur der Abwehr, sondern auch dem immer wieder neuen Finden der eigenen Position.«
[Dr. Kia Vahland, 2017]

»Ich wünschte, sagen zu können: Wir Deutsche haben für immer aus der Geschichte gelernt. Aber das kann ich nicht sagen, wenn Hass und Hetze sich ausbreiten.
Natürlich: Unsere Zeit ist nicht dieselbe Zeit.
Es sind nicht dieselben Worte.
Es sind nicht dieselben Täter.
Aber es ist dasselbe Böse.
Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand. Mehr noch: Sie präsentieren ihr antisemitisches, ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Antwort für die Zukunft, als neue Lösung für die Probleme unserer Zeit.«
[Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, am 23. Januar 2020 in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, anlässlich des 75. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz]

»Es gibt kein heilsames Schweigen über Auschwitz.«
[Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, 29. Januar 2020]

Das „Nie wieder“ verbietet Gleichgültigkeit. Es fordert, die Verantwortung in die Zukunft zu tragen. Das Erinnern zwingt dazu, Stellung zu beziehen - und freiheitliche Werte im heute zu verteidigen. Für alle Menschen.

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[Foto: 2007 Mario Duhanic, Wikimedia Commons. Lizenz: Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen]